Der Luftballon will an die frische Luft
Wart ihr schon mal auf einem Jahrmarkt? Dann kennt ihr vielleicht diese großen Heliumballons, die aussehen wie ein Tier oder irgendein Lieblingscharakter aus dem neusten Disneyfilm. Wie fast alle Kinder wollte natürlich auch ich unbedingt so einen haben, denn wie toll ist bitte eine Micky Mouse in Überlebensgröße, der auch noch fliegen kann? Sehr toll nämlich! Und dann war es soweit meine Eltern bezahlten mir meinen neunen fliegenden Freund und der Verkäufer überreicht mir diesen Heliumschatz mit den Worten „Bloß nicht loslassen!“
Ach ja, die neu gewonnene Freude verflog eben so schnell wie sie gekommen war, als mir klar wurde, dass ich diesen Ballon wirklich unter keinen Umständen loslassen sollte. Und wie konnte es auch anders sein, so sah ich ein paar Meter weiter vor mir wie einem Kind genau dieses Missgeschick passierte und sein schöner Elefanten-Ballon stieg hoch in die Lüfte und das Kind war untröstlich. Dieses Erlebnis nahm ich mir zum Anlass auf meine Micky Mouse besonders gut aufzupassen und egal was passierte bloß nicht loszulassen. Doch was ist der Preis, den ich zahle etwas mit aller Kraft festzuhalten?
Je länger wir über den Jahrmarkt gingen, fühlte ich mich zunehmend angespannt und konnte meine Freude gar nicht mehr genießen. Ich verbot mir den Blick vom Ballon abzuwenden und verpasste den Zuckerwattestand, das Bällebad und die Achterbahn. Ich war so fokussiert auf den Ballon, dass ich meine Umgebung nicht mehr wahrnahm. Ich wurde wütend, weil ich die ganze Zeit aufpassen musste nicht über irgendeinen Stein zu stolpern. Ich hörte auf mich in windige Gebiete zu begeben und blieb dort, wo es sicher für uns beide war. Ach wäre es nicht schön diesen Ballon einer anderen Person zu geben, die darauf aufpassen kann während ich wieder sorglos draußen Spielen kann und diese ganzen Fahrgeschäfte ausprobiere. Ja das wäre schön. Nach ein paar angestrengten Stunden kamen wir wieder daheim an und ich konnte den Ballon sicher in meinem Zimmer deponieren. Dort schwebte er vor sich hin und erinnerte mich an diesen Tag. Ich frage mich, ob ich wohl mehr Spaß gehabt hätte, wenn ich ihn einfach losgelassen hätte?
Heute viele Jahre später halte ich keinen Micky Mouse Ballon mehr in der Hand und dennoch habe ich die Angst etwas loszulassen nie verloren. Viel lieber möchte ich die Menschen, Gefühle, Gedanken, Dinge für immer festhalten. Wer wäre ich ohne sie? Doch ich merke wie ich in der Wut, der Trauer, der Unzufriedenheit, der Vergangenheit hängen bleibe. Ich habe das Gefühl dieses Festhalten bremst mich und hält mich zurück. Es ist eine Last auf meinen Schultern, die mich runterdrückt und ich fühle mich schwer. So wie ich damals diesen Luftballon festgehalten habe, werde auch ich jetzt festgehalten. Es ist als wäre ich jetzt der Ballon. Dabei habe ich mich selbst an diese Hand gebunden. Warte, heißt das, dass ich mich dann auch freilassen kann?
„Durch dein Loslassen geht die Vergangenheit nicht verloren, sie wird dadurch auch nicht weggeworfen, sondern vielmehr einfach nur ins richtige Licht gerückt. Loslassen ermöglicht dir, erneut in der Gegenwart zu leben.“ (Chuck Spezzano, Karten der Erkenntnis)
Diese schlauen Worte sind mir heute über den Weg gelaufen und haben mich sehr berührt. Loslassen heißt nicht so zu tun als wäre der Ballon nie dagewesen. Es heißt anzuerkennen, dass er da war und ich mich anfangs sehr darüber gefreut habe und jetzt erkenne, dass ich ihn doch lieber freilassen möchte. Vielleicht fühle ich mich zu Beginn unwohl. Ganz bestimmt, aber auch das wird vorübergehen und ich kann endlich wieder aufatmen. Der Ballon ist weg und ich kann endlich wieder tanzen.
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